
1. Einführung und Wortlaut
Die Bestimmung der bauplanungsrechtlichen Zulässigkeit nach § 34 BauGB ist oft schwierig. Hier versuchen wir Ihnen die Thematik strukturiert und mit Hintergrundwissen näher zu bringen.
Der Wortlaut des § 34 BauGB lautet:
Innerhalb der im Zusammenhang bebauten Ortsteile ist ein Vorhaben zulässig, wenn es sich nach Art und Maß der baulichen Nutzung, der Bauweise und der Grundstücksfläche, die überbaut werden soll, in die Eigenart der näheren Umgebung einfügt und die Erschließung gesichert ist. Die Anforderungen an gesunde Wohn- und Arbeitsverhältnisse müssen gewahrt bleiben; das Ortsbild darf nicht beeinträchtigt werden.
Bevor gleich intensiver auf den Hintergrund der Vorschrift eingegangen wird, soll herausgestellt werden, was genau die Kriterien der Vorschrift sind.
- Das Vorhaben muss innerhalb eines im Zusammenhang bebauten Ortsteils (Innenbereich) liegen;
- Das Vorhaben muss sich nach
- der Art der Nutzung (z.B. Wohnen, Gewerbe, etc.),
- dem Maß der baulichen Nutzung (z.B. Firsthöhe, Wandhöhe, etc),
- der Bauweise (z.B. offen (Einzelhaus), halboffen (Doppelhaus, Reihenhaus), geschlossen (Blockbebauung) und
- nach der Grundstücksfläche, die überbaut werden soll,
in die Eigenart der näheren Umgebung einfügen.
- Die Erschließung muss gesichert sein.
- Die Anforderungen an gesunde Wohn- und Arbeitsverhältnisse müssen gewahrt bleiben.
- Das Ortsbild darf nicht beeinträchtigt werden.
Vorab sei erwähnt, dass der Punkt Nr. 2 die größten Probleme mit sich bringt.
2. Die Bauplanungsrechtliche Ausgangssituation
Damit man versteht, worum es bei § 34 BauGB genau geht, muss man zunächst die Struktur des Baugesetzbuches und die Geschichte des § 34 BauGB kennen.
Das Baugesetzbuch unterscheidet sechs unterschiedliche bauplanungsrechtliche Situationen:
- Qualifizierter Bebauungsplan: Festsetzungen des Bebauungsplans sind maßgeblich.
- Einfacher Bebauungsplan: Festsetzungen des Bebauungsplans sowie Ergänzungen durch § 34 oder § 35 BauGB.
- Vorhabenbezogener Bebauungsplan: Individuelle Vorschriften und Vereinbarungen regeln die Zulässigkeit.
- Aufstellungsbereich eines Bebauungsplans: Je nach Verfahrensstand gelten die neuen oder bisherigen Regeln.
- Unbeplanter Innenbereich: Zulässigkeit nach § 34 BauGB, d. h. Einfügung in die Umgebung.
- Außenbereich: Bauvorhaben grundsätzlich unzulässig, es sei denn, sie fallen unter § 35 BauGB. Ein gelegentlich auftretendes Problem in der Praxis ist der sogenannte “Innenbereich im Außenbereich”. Dabei handelt es sich um Siedlungsbereiche, die zwar eine gewisse bauliche Prägung aufweisen, aber nicht eindeutig dem Innenbereich zugeordnet werden können. Die Abgrenzung ist oft schwierig.
In jeder dieser Situationen bestimmt sich das, was man bauen kann, also aus unterschiedlichen Quellen. Die wesentlichen Kriterien sind aber immer weitgehend gleich. Es geht immer um die Art der Bebauung (zB Wohnen, Gewerbe, etc.), das Maß der Bebauung, die Bauweise, die überbaubare Grundstücksfläche. Die Frage ist also im Endeffekt, wie und woraus man diese Kriterien ableitet.
Wenn ein sog. Qualifiziertes Bebauungplan vorliegt, der diese Kritieren explizit regelt, leitet man die Kriterien aus dem Bebauungsplan ab.
Wenn nur ein einfacher Bebauungsplan oder gar kein Bebauungsplan vorliegt, dass Grundstück aber im Innenbereich liegt, leitet man mit Hilfe des § 34 BauGB die Kriterien der Zulässigkeit von Vorhaben aus der näheren Umgebung ab.
3. Zur Ableitung der Kriterien
Die Art und Weise, wie man nun die Kriterien des § 34 im Einzelfall aus der näheren Umgebung ableitet hat sich nach und nach durch die Rechtsprechung zu § 34 BauGB herausgebildet. Über die Jahre hat sich die Rechtsprechung sehr ausdifferenziert. Zwar betonte die Rechtsprechung bis heute die grundsätzliche Offenheit des § 34 BauGB für eine bauliche Entwicklung und die Relevanz der Gesamtbetrachtung im Einzelfall. Man kommt aber nicht umhin festzustellen, dass die Behörden und Gerichte in vielen Fällen zu einer eher kleinteiligen Betrachtung neigen, die keine allzu großen Spielräume zulassen.
Man liegt also im Ergebnis in vielen Fällen bei der Beurteilung des § 34 BauGB – ohne sich mit den genauen Kriterien zu beschäftigen – oft nicht ganz falsch, wenn man annimmt, dass man zumindest bauen kann, was der unmittelbare Nachbar bauen durfte.
Trotzdem muss man vor dieser pauschalisierten Betrachtung warnen. Gerade die in vielen Immobilienexposees zu findenden Formulierungen, wie etwa “Bebauung nach § 34 wie die umliegende Bebauung” bergen nicht selten ein erhebliches Risiko.
Angenommen, man besichtigt ein Gebäude in einem unbeplanten Innenbereich und sieht, dass der Nachbar links und recht jeweils einen massiven 5m langen eingeschossigen Anbau errichtet haben und sich daran noch ein Wintergarten anschließt. Das bedeutet mitnichten, dass die gleiche Bebauung auf diesem Grundstück zulässig ist. Stellt man dann einen entsprechenden Bauantrag, kann es passieren, dass man erfährt, dass es sich sowohl bei der Bebauung links wie rechts um Schwarzbauten handelt, die sich beide nicht in die nähere Umgebung einfügen. Auch möglich ist, dass die beiden Anbauten als sog. Ausreißer definiert werden, die nicht zur Beurteilung der prägenden Umgebung heranzuziehen sind.
Das ist nur ein Beispiel, wie man sich im Rahmen des § 34 BauGB schnell täuschen kann. Nicht immer muss es so seien, dass man irrigerweise annimmt, mehr bauen zu dürfen. Es kann auch sein, dass man das Potential der Bebauung unterschätzt. So ermöglichen z.B. die bereits erwähnten neuen Befreiungstatbestände und Ausnahmeregelungen für den Wohnungsbau neue Spielräume, die man aber erst in einem Antragsverfahren zutreffend ausloten kann.
Aus dem Gesagten leiten sich einige im Rahmen des § 34 zu beachtende Aspekte ab.
- Bevor nicht zumindest eine informelle Bauvoranfrage durchgeführt hat, ist die Bebaubarkeit des Grundstücks nach § 34 BauGB nicht verlässlich einzuschätzen. Man kann jedoch die Faktoren analysieren, die Einfluss auf die Bestimmung von § 34 BauGB haben. Damit erarbeitet man sich auch eine gute Argumentationsgrundlage für ein Bauvorbescheidsverfahren.
- Idealerweise prüft man die gewünschte Bebaubarkeit dann durch einen Vorbescheid ab.
- § 34 BauGB trägt in die Bewertung von Grundstücken ein gewisses Maß an Unsicherheit hinein, was sich auf den Preis auswirken kann. Diese Unsicherheit kann durch einen Vorbescheid beseitigt werden.
4. Die Kriterien
Die Rechtsprechung definiert die von § 34 BauGB gestellten Anforderungen im Allgemeinen wie folgt:
Nach § 34 Abs. 1 Satz 1 BauGB ist ein Vorhaben innerhalb eines im Zusammenhang bebauten Ortsteils nur zulässig, wenn es sich in die Eigenart der näheren Umgebung einfügt. Ein Vorhaben fügt sich im Allgemeinen ein, wenn es sich innerhalb des Rahmens hält, der durch die in der Umgebung vorhandene Bebauung gezogen wird. Ein rahmenwahrendes Vorhaben kann ausnahmsweise unzulässig sein, wenn es nicht die gebotene Rücksicht auf die Bebauung in der Nachbarschaft nimmt. Umgekehrt fügt sich ein den Rahmen überschreitendes Vorhaben ausnahmsweise ein, wenn es bodenrechtlich beachtliche Spannungen weder herbeiführt noch erhöht (BVerwG, U.v. 26.5.1978 – IV C 9.77 – juris Rn. 47; U.v. 15.12.1994 – 4 C 13.93 – juris Rn. 17; BayVGH, B.v. 19.10.2020 – 15 ZB 20.280 – juris Rn. 7; B.v. 14.2.2018 – 1 CS 17.2496 – juris Rn. 13).
An dieser Definition kann man erkennen, dass die Bestimmung vage bleibt. Es geht, soviel kann man ableiten, um einen Rahmen, also nicht um ganz feste Größen.
a. Innenbereich
Das Vorhaben muss innerhalb eines im Zusammenhang bebauten Ortsteils (Innenbereich) liegen; Die Frage ist also, ob das Vorhaben im Innenbereich oder im Außenbereich liegt. Das ist in der Regel relativ leicht zu unterscheiden. Es gibt aber einen relativ häufig auftretenden Fall, bei dem die Unterscheidung zwischen Innen- und Außenbereich schwierig ist. Hierbei handelt es sich um den sog. Außenbereich einen Innenbereich. Das meist größere Freiflächen, die in Innenbereich liegen. Für die Abgrenzung von Baulücken innerhalb eines Innenbereichs und einer Fläche des Außenbereichs ist maßgeblich, ob nach einer Bewertung des Gesamteindrucks der Umgebung der „Eindruck der Geschlossenheit“ noch vorhanden ist, das Grundstück also noch durch die Umgebung geprägt ist. Maßgeblich ist mithin eine gewisse „Verklammerung“ der baulichen Anlagen.
b. nähere Umgebung
Als erstes ist dabei zu untersuchen, wie die Rechtsprechung das Kriterium der näheren Umgebung definiert. HIer stellt man fest, dass es für die Rechtsprechnung nicht nur eine nähere Umgebung, sondern für jedes der Kiterien (Art, Maß, Bauweise, Grundfläche) eine eigene nähere Umgebung gibt.
Welcher Bereich als „nähere Umgebung“ anzusehen ist, hängt davon ab, inwieweit sich einerseits das geplante Vorhaben auf die benachbarte Bebauung und sich andererseits diese Bebauung auf das Baugrundstück prägend auswirken (vgl. BayVGH, U.v. 18.7.2013 – 14 B 11.1238 – juris Rn. 19 m.w.N.). Wie weit diese wechselseitige Prägung reicht, ist eine Frage des Einzelfalls. Die Grenzen der näheren Umgebung lassen sich nicht schematisch festlegen, sondern sind nach der städtebaulichen Situation zu bestimmen, in die das für die Bebauung vorgesehene Grundstück eingebettet ist (vgl. BVerwG, B.v. 28.8.2003 – 4 B 74.03 – juris Rn. 2; BayVGH, B.v. 16.12.2009 – 1 CS 09.1774 – juris Rn. 21; B.v. 27.9.2010 – 2 ZB 08.2775 – juris Rn. 4).
Die maßgebliche nähere Umgebung ist für jedes der in § 34 Abs. 1 Satz 1 BauGB aufgeführten Zulässigkeitsmerkmale gesondert zu ermitteln, weil die prägende Wirkung der jeweils maßgeblichen Umstände unterschiedlich weit reichen kann (vgl. BVerwG, B.v. 6.11.1997 – 4 B 172.97 – juris Rn. 5; B.v. 13.5.2014 – 4 B 38.13 – juris Rn. 7; U.v. 8.12.2016 – 4 C 7.15 – juris Rn. 9; BayVGH, B.v. 16.12.2009 – 1 CS 09.1774 – juris Rn. 21; U.v. 18.7.2013 – 14 B 11.1238 – juris Rn. 19; B.v. 14.2.2018 – 1 CS 17.2496 – juris Rn. 13).
Bei den Kriterien Nutzungsmaß und überbaubare Grundstücksfläche ist der maßgebliche Bereich in der Regel enger zu begrenzen als bei der Nutzungsart (vgl. BVerwG, B.v. 13.5.2014 – 4 B 38.13 – juris Rn. 7; BayVGH, B.v. 16.12.2009 – 1 CS 09.1774 – juris Rn. 21 m.w.N.; U.v. 12.12.2013 – 2 B 13.1995 – juris Rn.15; B.v. 14.2.2018 – 1 CS 17.2496 – juris Rn. 13). Entscheidend bleiben in jedem Fall die tatsächlichen Verhältnisse im Einzelfall (vgl. OVG Münster, U.v. 1.3.2017 – 2 A 46/16 – juris Rn. 35 m.w.N.). In der Regel gilt jedoch bei einem inmitten eines Wohngebiets gelegenen Vorhaben als Bereich gegenseitiger Prägung das Straßengeviert und die gegenüberliegende Straßenseite (vgl. BayVGH, U.v. 10.7.1998 – 2 B 96.2819 – juris Rn. 25; B.v. 27.9.2010 – 2 ZB 08.2775 – juris Rn. 4; B.v. 30.1.2013 – 2 ZB 12.198 – juris Rn. 5; U.v. 24.7.2014 – 2 B 14.1099 – juris Rn. 20; B.v. 14.2.2018 – 1 CS 17.2496 – juris Rn. 16 f.).
Hier sei hinzugefügt, dass die gegenüberliegende Straßenseite in vielen Fällen nicht oder nicht hinreichend zur Prägung herangezogen wird, auch wenn sie nach der Rechtsprechung nicht aus der näheren Umgebung per se ausgeschlossen ist.
c. Maß der Bebauung
Das Maß der Bebauung ist häufig ein strittiger Punkt, wenn es darum geht, das Einfügen zu beurteilen,
Bedeutsam für das Einfügen in die Eigenart der näheren Umgebung nach dem Maß der baulichen Nutzung sind solche Maße, die nach außen in Erscheinung treten und anhand derer sich die vorhandenen Gebäude in der näheren Umgebung leicht in Beziehung zueinander setzen lassen. Ihre absolute Größe nach Grundfläche, Geschosszahl und Höhe, bei offener Bebauung zusätzlich auch ihr Verhältnis zur Freifläche, prägen das Bild der maßgeblichen Umgebung und bieten sich deshalb als Bezugsgrößen zur Ermittlung des Maßes der baulichen Nutzung an.
Entscheidend ist, dass es auf die Maße ankommt, die nach außen hin in Erscheinung treten. Folglich spielen die Geschossflächenzahl und die Grundflächenzahl allenfalls eine untergeordnete Rolle, weil sie nicht nach außen hin in Erscheinung treten.
d. Art der Nutzung
Auch das Einfügen nach der Art der Nutzung kann im Einzelfall problematisch sein.
Entspricht die Art der Nutzung in der näheren Umgebung des Baugrundstücks einem der Baugebiete nach § 2 ff. BauNVO, liegt ein faktisches Baugebiet vor. Die Zulässigkeit des Vorhabens richtet sich dann nach den Festsetzungen in der BauNVO.
e. Bauweise
Bei der Bauweise kommt es darauf an, welche Bauweise in der näheren Umgebung zu finden ist. Unterschieden wird zwischen der offenen und geschlossen Bauweise. Beides kann in der näheren Umgebung vorliegen. Denkbar ist auch das Vorliegen einer sog. halboffenen Bauweise (z.B. Reihenhäuser).
f. Grundfläche
Mit dem in § 34 Abs. 1 S. 1 BauGB verwendeten Begriff der Grundstücksfläche, die überbaut werden soll, ist die konkrete Größe der Grundfläche des Vorhabens und auch seine räumliche Lage innerhalb der vorhandenen Bebauung, also der Standort des Vorhabens, gemeint. Zur näheren Konkretisierung kann auf die Begriffsbestimmungen in § 23 BauNVO zur „überbaubaren Grundstücksfläche“ zurückgegriffen werden. (Rn. 9) (redaktioneller Leitsatz)
Zunächst muss also die überbaute Grundfläche in der näheren Umgebung ermittelt werden. Dann muss geprüft werden, ob sich das Vorhaben in dem ermittelten Rahmen hält.
Im Ausnahmefall kann sich ein Vorhaben, das sich nicht in jeder Hinsicht innerhalb des Rahmens hält, noch in seine nähere Umgebung einfügen; Voraussetzung hierfür ist, dass es weder selbst noch infolge einer nicht auszuschließenden Vorbildwirkung geeignet ist, bodenrechtlich beachtliche Spannungen zu begründen oder vorhandene Spannungen zu erhöhen.